Aufruhr im Ball-Affen-Land

Gesagt, getan: Der Blog wird aufgrund der Pandemie nun etwas anders gestaltet. „Auf ein Spiel“ ist nicht wirklich möglich, dennoch möchte ich aktuelle Themen behandeln, die mich bewegen. Heute ist es die Stimmung der Fans und die Situation um unseren geliebten SVW. 

Und früher war doch immer alles besser…

Die Stimmung ist im Keller. Wir leben seit Monaten in einer Pandemie, sind eingeschränkt, können nicht ins Stadion und unser Verein spielt (nicht selten) 90 Minuten desaströsen Fußball. Das sorgt für viel Unmut und für Mitteilungsbedarf auf etlichen Social-Media Kanälen. Jetzt gebe ich meinen Senf dazu, um vielleicht den ein oder anderen Fan zum Nachdenken anzuregen.

Die Seiten einer Medaille

Denken wir noch einmal an das Union-Spiel. Auch ich habe mir meinen Teil nach Abpfiff gedacht. Werder hatte an diesem Tag schlechten Fußball gespielt. Ich hinterfrage viele Aufstellungen, Einwechslungen, Verletzungen und Spieltaktiken. Bei den Spielen zuvor gab es noch Lichtblicke und gute Momente – gegen die Jungs aus Köpenick sahen wir eher schlecht aus.

Keine glanzvollen Augenblicke. Einfach nur schlechter Fußball. Das sehe ich und ich haue nicht in die Tasten, um alles schön zu reden. Ich möchte euch stattdessen auf eine ganz andere Sicht einladen.

Seit ich diesen Blog schreibe, versuche ich immer zwei Seiten zu sehen. Nicht nur die schlechte Leistung. Stattdessen- nein, zusätzlich – der Blick von oben; aufs Große Ganze. Die vielen Kleinigkeiten und Einzelteile, die am Ende das Gesamtbild ergeben.

Welcome to the other side

Vorweg hole ich euch ab auf (m)eine Perspektive und erzähle euch eine kleine Anekdote.

Ein Mann sitzt in einer U-Bahn. Er hatte einen anstrengenden Tag und ist genervt. An der nächsten Haltestelle steigt ein weiterer männlicher Fahrgast mit seinen beiden Kindern ein. Die Kinder tollen umher und spielen laut. Einige Zeit lässt der gereizte Mann sich das gefallen. Momente später wird es ihm zu bunt und er spricht den Vater der Kinder daraufhin mit strengem Ton an: „Können Sie bitte Ihre Kinder zurechtweisen und in Zukunft besser auf Ihre Erziehung achten?“

Daraufhin entgegnet der Vater dem Fahrgast: „Es tut mir leid, ich werde besser darauf achten. Nur wissen Sie, wir kommen gerade vom Krankenhaus und Ihre Mutter ist gerade gestorben. Die Kinder wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen.“

Die Geschichte ist krass. Doch sie vermittelt, dass es auf die Perspektive ankommt. Dass es auf den ersten Blick nicht immer so ist, wie es scheint. Dass wir eine Situation mit all ihren Konsequenzen nicht anhand eines Augenblicks beurteilen und bewerten sollten. Jetzt mal abgesehen vom Fußball, das machen wir auch verdammt häufig im Alltag, oder? 

Noch eine weitere Anekdote, nun aus meinem persönlichem Nähkästchen. 

Ich habe viele Jahre Tischfußball gespielt. Zwei Mal die Woche trainiert. Und am Wochenende ging es um die Wurst. Anfangs Turniere, später dann Liga-Spiele.

Da ging es schon härter zur Sache. Ständig hatte ich den Druck, irgendjemanden etwas zu beweisen. Ich wollte stets 110% zeigen. Mir begegneten die arrogantesten Männer am Tisch. Solch einer war an jenem Tag mein Gegner.

Meine Mission: Zeigen, dass auch Frauen – dass ich – beim Kickern etwas auf dem Kasten habe. Es ging los – und zack lag ich hinten. Ich konnte es kaum glauben. Ich hatte so gut trainiert, es muss jetzt doch klappen?! Da kam auch schon der nächste Gegentreffer, er grinste hämisch. Das Grinsen könnte ich heute noch phantombild-getreu nachzeichnen. Ich werde es nie vergessen.

Das letzte Tor erzielte er mit dem Knie. MIT DEM KNIE! Das Spiel war aus und ich verlor mit nur zwei eigenen Treffern. Ich war frustriert. Genervt. Kurz davor, das Kickern an den Nagel zu hängen. Heute lache ich über diese Geschichte.

Der Mann der mir damals das professionelle Kickern beigebracht hat, kam zu mir und erklärte, dass alles nur in meinem Kopf abgelaufen ist. Ich hatte mir zu viel Druck gemacht und meine eigentliche Leidenschaft total hintenangestellt.

Ich hab mich selbst so unter Druck gesetzt, dass all die Kreativität, Spontanität und Leichtigkeit – die ich mir antrainiert habe – verflogen war. Am Tisch, in meinem Leben.

Jetzt wieder zurück zum Fußball.

Wenn du bei den vorangegangenen Geschichten nun Parallelen ziehen oder Verständnis aufbringen kannst, gehe ich jetzt noch einen Schritt weiter.

Anmerkung: die folgenden Kommentare sind aus den sozialen Netzwerken. Getreu dem Datenschutz bleiben die Verfasser der jeweiligen Kommentare anonym.

„Wann schmeißt ihr diese beiden Pfeifenheinis endlich raus“

„Ich fasse es nicht. Offensichtlich will man sich in die zweite Liga sparen. Wann werden diese 3 Deppen endlich rausgeworfen?! (…)“

 „Und dann ist ja noch der andere 12 Mio. Versager“

„Glauben die eigentlich den Scheiß selber, den sie da erzählen?“

„So wie ihr drauf seid, gibt’s nix zu gewinnen. Macht die Augen auf es geht wieder ab nach unten „Schämt euch“

„Diese Mannschaft einfach nur peinlich. Und für diese Leistung und Aufstellung ist ja nach Aussage vieler nicht Kohfeldt schuld… Da frage ich mich doch glatt, wer dann? Wieder einmal bislang nur eine peinliche Vorstellung.“

„Es ist so traurig, was aus diesem Verein geworden ist.“

Die Nerven liegen blank

Die Frage sollte lauten: Was ist aus uns geworden? Aus uns Fans? Aus uns Menschen?

Habt ihr in letzter Zeit bemerkt, dass die Zündschnur bei euren Mitmenschen ganz schön kurz geworden ist? Man fragt etwas an der Theke im Supermarkt nach, schon brüllt jemand von hinten „HINTEN ANSTELLEN FRÄULEIN!“

Bei allen scheinen die Nerven blank zu liegen. Und so spricht noch schneller Wut und Frust aus den Menschen. Vielleicht, weil sie nicht nachdenken. Oder, weil sie einfach jede Gelegenheit nutzen, um ihrem Frust etwas Luft zu machen. 

Und dabei hat Werder Bremen, meiner Meinung nach, vor allem ein Mentalitätsproblem. Also agieren wir momentan richtig schön kontraproduktiv. Ganz nach dem Motto: „Sie haben eine Nussallergie? Möchten Sie noch etwas von der Walnusstorte?“

Jahrelang hatten wir Schwierigkeiten damit, aus der Mannschaft ein Team zu formen. Dazu kamen viele Verletzungen. In dieser Zeit haben andere Vereine, wie Köln und Freiburg, Europa gespielt.

Keiner kann sagen, die hatten bessere finanzielle Mittel als wir. Jetzt ist Union der lebende Beweis dafür. Man kann auch aus wenigen Mitteln viel erreichen, wenn das Mindset stimmt. Und das ist mit eurem so oft geforderten Trainerwechsel übrigens auch nicht immer gleich getan. 

Mein Abschlussplädoyer

Wissen wir wirklich ALLES? Ich meine, WIRKLICH alles? 

NEIN! Ist bei euch im Familienkreis schon mal etwas dazwischengekommen? Warst du dadurch vielleicht abgelenkt? Hast du dadurch schlechtere Arbeit abgeliefert und warst froh, dass dein Chef Verständnis dafür hatte?

Hast du dir schon mal voreilig eine Meinung gebildet? Jemandem Unrecht getan? 

Hast du dich auch schon einmal unter Druck gesetzt und gerade dann wollte es erst recht nicht gelingen?

Hast du dann auch komplett vergessen, warum du das tust was du tust?

Macht ein Job noch Spaß, wenn du deiner Firma beim Weg in die Insolvenz zusiehst und weißt, du trägst gerade einen Teil dazu bei? 

Wir urteilen sehr schnell vor dem Fernseher, schreiben unsere Hasskommentare und verbreiten dadurch eine noch schlechtere Energie.

Ich kann mir zudem nicht vorstellen, dass einer der Spieler nach einer Niederlage in die Kabine geht und sagt: „Heute haben wir endlich mal wieder verloren, Gott tut das gut!“ Meint ihr nicht, die Spieler ärgern sich schon genug und brauchen jetzt alles nur nicht solche Kommentare?

Wo ist denn da unsere Mentalität/Menschlichkeit geblieben?

Und jetzt mal Butter bei die Fische!

Ich möchte kein Gegenargument akzeptieren, das mit der Kohle zu tun hat. Ja, die Jungs spielen in der Profiliga und bekommen eine mehr als gute Bezahlung. Aber auch diese Jungs befinden sich in einer Pandemie. Haben Familie und müssen einiges unter einen Hut bekommen.

Zudem fehlen die Fans im Stadion mit ihrem Gesang und der Motivation. Nun bleibt nur noch die Stimme auf Social Media und die ist, wie ihr bereits gelesen habt, nicht selten ein Armutszeugnis. Zudem geht es hier immer noch um Menschen!

Es steht uns nicht zu, so über Menschen zu urteilen.

Back to the roots!

Wenn ich also dazu aufrufen darf – MACHT JETZT ENDLICH DAS BESTE DRAUS!

Alles unter dem Motto – WELCOME TO THE OTHER SIDE!

Das soll nicht nur für den Fußball gelten, sondern auch für jede Alltagssituation. Mehr Respekt – und wenn wir schon nicht im Stadion sein können, dann lasst uns gemeinsam die Mannschaft anfeuern. Vor dem TV, im Netz, in den sozialen Medien. Und gerade letztere sind ein Kanal, der auch die Spieler erreichen kann. Aber dann doch bitte positiv, motivierend und als „12. Mann“. 

Ob Fangesänge im Status, in den Kommentaren oder in den Stories. Gebt alles! Nicht Euren Hass – sondern eure Liebe zum Fußball, zu Werder Bremen. Für den Klassenerhalt und endlich wieder gute Stimmung an der Weser.

Alles geben für den SVW.