09:00 Uhr. Der Wecker klingelt. Ich öffne die Augen und merke, dass mein Schädel brummt. Vielleicht war es ein Becks zu viel am Vorabend auf dem Fan-Fest. Mein Kumpel Oli hat auf der Couch geschlafen und war mindestens genauso überrascht, wie schnell eine Nacht enden kann. Viel zu früh. Aber: Genug geträumt. Gleich geht es los!

Wat mutt dat mutt – FCBSVW
Es kostete mich Überwindung überhaupt aufzustehen. Aber „wat mutt dat mutt.“ sagen wir Bremer. Also raus aus den Federn und ab ins Schmaus und Braus. Hier sollte das Katerfrühstück, bestehend aus Weißwurst, Breze und Bier, stattfinden.
Punkt 11:30 Uhr. So ein Katerfrühstück ist schon etwas Feines. Es gibt nicht einmal mehr Sitzplätze und einige essen im Stehen. Wir sind angespannt und fragen uns, was uns heute noch erwarten wird. Immerhin ist es schon zehn Jahre her, als wir die Bayern zuhause in München mit einem 5 : 2 „wegfegten“! Ich war natürlich live dabei. Die Mannschaft wollte das Spiel heute unbedingt gewinnen und wir waren mehr als heiß. Schreiben wir heute erneut Fußballgeschichte?
Apropos Geschichte — was hat München eigentlich noch zu bieten?
„Minga“ ist mit 1,5 Millionen Einwohnern, die einwohnerstärkste Stadt Bayerns. Sie zählt zu den Weltstädten und das lässt sich München gerne auch bezahlen. So stimmt es, dass die Mieten wirklich horrend sind und man in einigen Locations mit einem Gin Tonic auch den Wocheneinkauf bezahlen könnte.
Die Stadt „bei den Mönchen“ hat hier aber auch ihr Päckchen zu tragen. So erinnern sich viele wohl noch an die Geiselnahme an den Olympischen Spielen. 1635 bricht die Pest aus und ein Drittel der damaligen Bevölkerung fällt der Epidemie zum Opfer. Die Einwohnerzahl sinkt kurzzeitig von 22.000 auf 9.000 ab. Im gleichen Jahr kehrten die Schwedengeiseln nach München zurück, die Gustav II. Adolf von Schweden damals an sich riss, um die Stadt zu besetzen.
Auch München wurde im Zweiten Weltkrieg nicht verschont und bis Kriegsende war die gesamte Stadt zu fünfzig Prozent zerstört. Die Altstadt traf es mit neunzig Prozent besonders schlimm.

Selbst ein grober Abriss der Geschichte Münchens würde hier den Rahmen sprengen. Wenn euch die Historie dennoch interessiert, kann ich die Nachtwärter Führung empfehlen. Für wenig Geld, die komplette Geschichte, hervorragend und mit viel Liebe erzählt. Hier noch meine persönlichen Sehenswürdigen für die nächste Auswärtsfahrt:
- Das Seehaus am Englischen Garten
- Frauenkirche am Marienplatz
- Der Alte Peter (hier geht es hoch hinaus und man erhält einen tollen Ausblick über die Stadt)
- Der Odeonsplatz und seine tollen Bauten
- Der Olympiapark (insbesondere der Olympiaberg und der See)
- Viktualienmarkt (ausreichend Geld mitnehmen :-))
- Grün-Weißes München und die legendäre Stimmung

Hier regiert der SVW!
13:00 Uhr geht es langsam gen Stadion. Rund 40 Fans starten gut gelaunt und lauthals Richtung U-Bahn. Es ist unfassbar kalt und nur ein Wegbier wärmt von innen. Ganz München konnte uns hören. Die Stadt ist heute Grün-Weiß.
Unten in der U-Bahn wird es richtig voll. Wir treffen auch erstmals auf Fans der gegnerischen Mannschaft. Wenn ich nach all meinen Erfahrungen, die gemütlichsten und friedlichsten Fans bestimmen müsste, dann wären es die des FC Bayern. Ich hatte auf Auswärtsfahrten schon ganz andere Situationen erlebt. Hier hat man uns akzeptiert und mit dem ein oder anderen kann man sich auf vollkommen normalem Niveau über Fußball unterhalten.
So friedlich wie die Bazis auch sind, ist auch ihre Stimmung. „Und schon wieder keine Stimmung FCB“ ertönt es von unserer Seite. Aber hier irgendwann mehr in einem eigenen Blog Beitrag. 15 Minuten lang, lassen die Fans unsere Gesänge über sich ergehen. Nach einem „Wir sind stolz auf unser’n Fisch — Werder Bremen“ Gesang, nahmen wir ihnen nun endgültig jegliche Grundlage zum Kontern. Humor? Können wir!
Ab ins Stadion!
Schön aufgewärmt — innen wie außen — kamen wir in Fröttmaning an. Mit Schal, Gesang und guter Laune geht es endlich in unser Domizil für die nächsten 90 Minuten. Immer noch kein Aufzug in der Arroganz Arena! Sport wird hier wirklich noch groß geschrieben. Alte Freunde, die ich schon seit 15 Jahren kenne, laufen mir über den Weg. Da es für die Gäste in den meisten Stadien nur alkoholfreies Bier gibt, stößt man eben mit dem an, was man kriegen kann.
20 Minuten vor Anpfiff stehen wir in der gegnerischen Kurve; zu Gast bei den Bayern. Die Ultras geben den Takt vor — und wir stimmen mit Leib und Seele ein.
Wir schreiben Minute Eins und es ist von der ersten Sekunde an, ein gutes Spiel. Werder zeigt sich von seiner kämpferischen Seite. Auch wenn wir hier als Auswärts-Fans in den letzten Jahren immer wieder schwere Momente hatten, kamen wir immer noch gerne her. Für uns waren es ein paar Minuten ins Stadion. Man bedenke, dass es für die Bremer mit 763 km, die weiteste Auswärtsfahrt der Saison ist. Und der Gästeblock ist restlos ausverkauft.

Wir sind wieder zurück
25. Minute in der Allianz Arena. Es wird brenzlig vor dem Strafraum des FC Hollywood. Gondorf trifft. 0 : 1! Egal, was ich hier jetzt schreibe: Das war einer dieser Momente, die ich mit in mein Grab nehme und kaum beschreiben kann. Keiner konnte fassen, was hier gerade passiert ist.
Die komplette Gästekurve ist nicht mehr zu bremsen. Es gibt kein Halten mehr. Alle Bremer sind außer Rand und Band. Wir liegen uns in den Armen und können unseren Augen kaum trauen. All der Frust der Hinrunde — rausgeschrien bei diesem Tor. Wir sind wieder da!

Die Stimmung hat Ihren Zenit erreicht. Werder war immer noch stark und am Ball. Leider fiel der Ausgleich kurz vor der Halbzeitpause durch Müller. 1 : 1. Schade, aber zu verkraften.
Ich spüre meine Füße vor Kälte nicht mehr, doch die Stimmung ist alles andere als eingefroren. 15 Minuten durchatmen. Das brauchen wir nach dieser ersten Halbzeit. Wer weiß, was hier noch alles passiert. Eins steht fest — zu Null gehen wir heute nicht mehr nach Hause.
Ein Pfiff. Es geht wieder los.
Der Ball rollt und die zweite Halbzeit startet. Bei diesem Spiel kam übrigens mein Titelbild zustande. Hier sieht man keinem die Kälte ins Gesicht geschrieben. Im TV auch nicht. Man muss es einfach selbst erleben. Fußball kann einem eben nicht nur das Herz erwärmen.

63. Minute — Lewandowski! Absoluter Mist. Auf einmal sind sie wieder da — die Fans des FC Bayern. Viele kommen erst jetzt wieder aus der V.I.P Lounge. Ganz schön laut, wenn rund 73.000 Heimfans verlauten lassen, dass ihre Mannschaft ein Tor erzielt hat. Das kann jetzt ganz bitter enden. Meist verliert Werder hier den Mut und lässt sich fallen. WEIT GEFEHLT!
Werder will diesen Sieg.
74. Minute. Sule. Aber nicht für die Bayern, sondern für uns! Eigentor. Es steht 2 : 2. Wir wieder außer Rand und Band. Erneut die Chance, hier 3 wichtige Punkte mitzunehmen. Was für eine Partie. Für 15 Euro kommt hier nicht nur der Kreislauf in Schwung, sondern auch die Dopamin-Ausschüttung.
Kurz darauf aber das 3 : 2 für die Gastgeber. Wieder traf der gebürtige Warschauer für die Roten. Wir feuerten weiter. Nicht nur unsere Jungs auf dem Platz, sondern auch wir auf der Tribüne. Einige von uns haben schon längst keine Stimme mehr.
Der SVW hatte noch 10 Minuten Zeit, das Spiel zu drehen. Jetzt bloß nicht Aufgeben. Der Capo unten bei den Ultras motiviert uns. Das kann man sich wie bei einem Workout im Fitnessstudio vorstellen, bei dem man noch ein paar Minuten durchhalten muss.
6 Tore – 90 Minuten
Viele denken sich bestimmt, dass wir jetzt super enttäuscht sind, weil wir eine Führung aus der Hand gegeben haben. Weit gefehlt beim Fußball. Klar, das ein oder andere Gegentor nervt uns, aber das dürfen wir uns nicht anmerken lassen. Wenn der Rückenwind und die Richtung stimmen, dann geht es auch viel leichter nach vorne. Der Rückenwind sind WIR — die Fans. Bedingungslos. Das macht uns aus und nach 90 Minuten Spielzeit und einem letzten Tor von Thomas Müller, unterliegen wir hier am Weißwurstäquator mit 4 : 2. Dennoch ein tolles Spiel.

Das Lied von Eis und Feuer
Wir machen uns schließlich auf dem Heimweg. Singen weiter unsere Lieder und freuen uns – vor allem auch auf unser Bett. Die Stimmung in der U-Bahn famos, allerdings nicht von den Fans in Rot, sondern von uns in Grün. Ich gucke in die Gesichter der Fans, deren Mannschaft 3 Punkte geholt hat. Man könnte meinen, sie kommen gerade von einer Beerdigung. Schade, dass für sie Fußball so gar nicht mehr spannend scheint. Ein bisschen tun sie mir leid. Die Gefühle von Euphorie, Leidenschaft und Liebe scheinen erloschen. Aber unser Feuer brennt — es heißt nicht umsonst in unserer Hymne — „ihr seid cool und wir sind heiß.“